Beim Gedanken an bildende Kunst und vor allem an Malerei im couleurstudentischen Milieu mag so mancher sofort an die zahlreichen Couleurpostkarten denken. Dennoch ist das Spektrum der couleurstudentischen Kunst im engeren und weiteren Sinne viel diverser und so wohl genauso immanent für das couleurstudentische Selbstverständnis und Verhalten wie der couleurstudentische Sprachgebrauch.
Die couleurstudentische Kunst ist schließlich eine der zentralsten nonverbalen Kommunikationsmethoden in Verbindungskreisen und wird wohl nur von den, die einzelnen Verbindungen kennzeichnenden, Farbcodes ausgestochen, welche in unterschiedlichster Form aufgegriffen und genutzt werden, um eine spezifische Zugehörigkeit zu vermitteln, so auch in der couleurstudentischen Kunst. Vor einer Vertiefung in die Materie der couleurstudentischen Kunst ist es jedoch notwendig, die Begriffe und das Spektrum couleurstudentischen Kunstschaffens genauer zu definieren, beginnend beim Kunstbegriff an sich.
Die Trias der Künste, schon in der Renaissance oft als drei Ringe gleich dem Krupp-Logo dargestellt, umfasste klassisch die Malerei und Grafik, die Skulptur und die Architektur, wobei nach neuerer Ansicht auch das Kunsthandwerk und Textilien den Künsten dazuzurechnen sind, während die Fotografie hierbei schwerer einzuteilen ist, da die Grenze zum künstlerischen Schaffen mehr als schwammig anzusehen ist. All diese Kunstgattungen finden sich mehr oder weniger wieder in der couleurstudentischen Kunst, wobei zu unterscheiden ist zwischen der von Couleurstudenten geschaffenen und der von Couleurstudenten beauftragten Kunst. Während Couleurstudenten selbst meist Werke der Malerei, Grafik und des Kunsthandwerks, sowie seit Mitte des 20. Jahrhunderts der Fotografie schufen, wurden gerade Werke der Architektur und Skulptur zumeist beauftragt und von externen Fachleuten gefertigt.
In der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstand neben den gerade im deutschen Raum alles andere als unüblichen Denkmälern eine neue Bauaufgabe, nämlich das Verbindungshaus, welches sowohl das Resultat des Wunsches nach einem eigenen Haus, als auch die Lösung des Platzmangelproblems in den örtlichen Kneipen war. Die Verbindungshäuser wurden meist extern ausgeschrieben und nur selten, wie im Falle des Austrierhauses in Innsbruck, ausschließlich von Verbindungsmitgliedern selbst konzipiert. Typische Formsprache dieser frühen Verbindungshäuser um 1900 ist, trotz klarer regionaler Unterschiede, der Historismus oder Traditionalismus, wobei hier vor allem ein Interesse am Mittelalter festzustellen ist – mit burgähnlichen oder im neogotischen Stil errichteten Villen und Stadthäusern. Die Ikonographie und Ikonologie, also die symbolische Dichte und Bedeutung, des ornamentalen Dekors dieser Häuser ist eine typisch couleurstudentische. Hierbei dominiert meist das Verbindungswappen als Relief oder Wandmalerei, doch oft finden sich auch Dekors wie Wein- oder Eichenlaub und Hopfenblüten, Spruchbanderolen oder universitäre und couleurstudentische Symbole. Während die Verbindungshäuser sich meist ins historische Stadtbild einfügten und auch verbandsübergreifend wenige Unterschiede aufweisen, stechen vor allem die Denkmäler der Burschenschaften, etwa das Burschenschafterdenkmal in Eisenach, mit ihrem monolithisch-strengen, „germanischen“ Klassizismus und von nordisch-germanischer Mythologie geprägter ikonographischer Ausgestaltung hervor.
Die Skulptur und Plastik wiederum ist ein absoluter Randbereich der couleurstudentischen Kunst, dient meist dem Memoria-Gedanken, also der Erinnerung an wichtige Persönlichkeiten der Verbindung und zeigt keine klare stilistische Linie oder Materialpräferenz. Im Bereich der Bronzeplastik finden sich zudem, gerade im katholischen Spektrum, vor allem Ritterfiguren, meist ein Roland oder der Heilige Georg, welche auch ein beliebtes Thema studentischer Malerei sind.
Das Kunsthandwerk und das Textil übernehmen in der couleurstudentischen Tradition eine absolute Sonderrolle, da sie wie keine andere Kunstgattung in intensivster Weise an die studentischen Riten und Traditionen gebunden sind, ähnlich den liturgischen Gewändern und Werkzeugen der Kirche. Neben dem künstlerischen Ausdruck dominiert also klar auch der spezifische Zweck die Form und Ausschmückung. Die textilen Bekleidungen, welche meist auf Uniformen oder Vorläufer der heutigen Verbindungen zurückgreifen, änderten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts kaum mehr, auch wenn sich regionale, oder sogar verbindungsspezifische Unterschiede und Sonderformen, so zum Beispiel im Bereich der Deckelformate, entwickelt haben. Weitere Textilien, nämlich die kunstvollen Standarten- und Fahnenblätter, sowie Keramiken und Metallarbeiten wurden, ähnlich der Wiener Werkstätte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zwar von Couleurstudenten entworfen oder ihren Designs entlehnt, die Fertigung wurde aber externen Spezialisten und Händlern anvertraut. Selbes trifft im Falle der Couleurkarten zu, welche sowohl von den Korporierten selbst gestaltet als auch von Grafikern und den studentischen Utensilienfabriken, sowohl nach Entwürfen als auch nur auf Auftrag, gefertigt wurden. Gerade im Bereich der Keramik- und Metallarbeiten wird sehr gerne, ähnlich dem Architekturschmuck, auf die klassische couleurstudentische Symbolik zurückgegriffen. So wurden Pfeifenköpfe, Bandknöpfe oder Krüge mit den Wappen der Verbindung oder anderen spezifischen Symbolen versehen.
Der Großteil der couleurstudentischen Malerei und Grafik ist meist Laienkunst, gefertigt von zumeist talentierten, aber autodidaktisch ausgebildeten Malern und Zeichnern. Akademische Maler wie unter anderem Philipp Schumacher bilden eine große Ausnahme. Die Werke dieser autodidaktischen Kunstschaffenden, vor allem bei den Auftragsarbeiten der Druckanstalten, sind oftmals nicht signiert, was den Anteil originär studentischer Werke nicht vollends nachvollziehen lässt. Die zahlreichen anderen Werke sind sowohl mit dem vollen Namen als auch nur mit Vulgo signiert, wobei letztere Form der Signatur typisch zu sein scheint für studentische Autodidakten. Eine ähnliche Seltenheit wie bei der Skulptur findet sich bei Gemälden, wobei vor allem Historienbilder und Porträts, häufig von akademischen Malern, angefertigt oder beauftragt wurden. Während die Bildnisse wichtiger Verbindungsmitglieder wieder die Memoria-Funktion erfüllen, erzählen die Historienbilder meist von der Verbindungs- und Verbandsgeschichte, oder dienen mit Allegorien wie der „Mutter“ der Repräsentation und Glorifizierung der eigenen Verbindung.
Die größte Vielfalt und Diversität sowie das größte Maß an couleurstudentischem Ausdruck findet sich jedoch in den unzähligen Illustrationen von Bierpillen, Gästebüchern und vor allem Couleurkarten. Bereits 1737 wurde der studentische Alltag im Rostocker Stammbuch Richertz festgehalten mit den typischen Trink- und Fechtszenen, welche sich bis heute gehalten haben. Parallel dazu finden sich wieder ausgehend vom Memoria-Gedanken die vor allem ab dem 18. Jahrhundert populären Schattenrisse oder Scherenschnitte der Studenten, welche mit den Farben der Verbindungen versehen wurden und meist als Erinnerungsstücke für die Verbindung selbst oder für befreundete Studenten anderer Korporationen dienten. Diese Risse wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert häufig durch Fotokarten ersetzt.
Ausgehend von diesen Stammbüchern finden sich in Folge zahlreiche Illustrationen, meist von Autodidakten, in den Kneipbüchern oder Bierpillen der Verbindungen. Hierbei vermischen sich ornamentale Muster im meist historistischen Stil mit Illustrationen mythologischen Inhalts, mit Szenen des studentischen Alltags, Liebesszenen und Karikaturen der Bundesbrüder oder anderer Verbindungen und Verbände, deren Tun so mit einem zwinkernden Auge dokumentiert wurde. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Einführung der Postkarte, begann der Siegeszug der Couleurkarte, die entweder mit originären Motiven von Couleurstudenten und beauftragten Grafikern oder fast standardisierten Szenen, welche sich an der couleurstudentischen Ikonografie bedienten, versehen wurde. Man bediente sich hier zum Beispiel des alten Typus des Schattenrisses und es entstanden unter anderem durch den Münchner Otto Nass unzählige standardisierte Karten mit demselben Profil, aber unterschiedlichen Band-, Deckel- und Wappenfarben. Diese sind nur mehr eine nostalgische Reminiszenz der alten Schattenrisse, welche um die Jahrhundertwende rapide durch die Fotografie und die kleinformatigen Fotokartons als Andenken abgelöst worden waren.
Des Weiteren finden sich zahlreiche Landschaftsdarstellungen oder Veduten, also Stadtansichten, oder Abbildungen der jeweiligen Universitäten und Verbindungshäuser. Diese vermitteln nicht nur die örtliche Zugehörigkeit der jeweiligen Korporation, sondern erzählen auch von der Gründungsgeschichte der Verbindung oder setzen den Verbindungsnamen in Bezug zu einem Bauwerk oder einem Ort. Zugleich sind sie mit ihrer idealisierten Darstellung der „deutschen Landschaft“, ähnlich der Inszenierung der Walhalla bei Regensburg in der Donaulandschaft, auch nicht unwesentlich in Bezug auf die damalige Identitätsfindung und Konstruktion der Nation und die hierbei enge Verbindung zur Landschaft im deutschsprachigen Raum. Die Landschaft und die Örtlichkeit zählten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einem maßgeblichen Identifikationssymbol. Häufig wurden diese Landschaften kombiniert mit dem Verbindungswappen oder Figuren wie dem Chargierten, dem Couleurstudenten, fast allegorischen Figuren wie dem Sänger, dem Barden oder dem Junker, aber auch mit historischen Figuren wie Herrschern und Stammesführern, welche wieder im engen Kontext zum Verbindungsnamen standen. Gerade der Junker oder Landsknecht erinnert nicht nur an die theatralischen und opulent gekleideten Figuren der Utrechter Caravaggisten um 1620, sondern auch an die Studentendarstellungen der alten Stammbücher und tritt häufig auch losgelöst von der Landschaftsthematik und nicht selten an des Chargierten statt mit der Verbindungsfahne auf. Ähnlich dieser Figur ist auch Roland bzw. der Ritter im generellen eine sehr beliebte Figur des couleurstudentischen Repertoires.
Auffallend ist nun die stilistische Ausprägung dieser Illustrationen. Generell ist eine Vorliebe von historistischen, meist gotischen oder barocken, Elementen im Bereich der ornamentalen Ausgestaltung zu erkennen. Des Weiteren findet sich auch sehr häufig der klassische, naturalistische Stil wie er damals generell in den Akademien und Salons vorherrschte. Ein Unikum bildet jedoch das Faible der katholischen Verbindungen für den Stil der katholischen Kunstbewegung der Nazarener oder des Lukasbundes, wobei hier unter den studentischen Malern vor allem der akademische Maler Philipp Schumacher hervorzuheben ist, welcher seine meist originären und stilistisch leicht erkennbaren Motive für zahlreiche Verbindungen innerhalb des Cartellverbandes anfertigte. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts fand sich ein weiterer Stil im Repertoire der couleurstudentischen Kunst ein, nämlich der Jugendstil, wobei hier vor allem die Ornamentik stark rezipiert wurde. Darauf folgte in der Mitte der 1920er Jahre primär im Bereiche der „Freisinnigen“ Burschenschaften ein stärkerer Fokus auf die strengere Formsprache, wie sie sich vor allem in den Illustrationen der faschistischen Propaganda fand. Ab der Nachkriegszeit finden sich sämtliche Formen und Stile der genannten Darstellungen und eine Bespielung des gesamten couleurstudentischen Symbolrepertoires in den Motiven der studentischen Künstler wieder, wobei nun fast von einer „Alleinherrschaft der Laien“ gesprochen werden könnte. Originäre, neue Bildfindungen sind nun nicht oder kaum mehr an der Tagesordnung, wobei zum Beispiel die idyllische Landschaft größtenteils durch Ansichten der modernen Städte und Bauwerke ersetzt wurde und die mehr allegorischen Figuren, Junker und Landsknechte weitgehend den Chargierten und Couleurstudenten wichen. Eine Neuerung findet sich erst ab den 1970ern und vor allem aber ab den 1990ern wo die klassischen Motive nicht selten durch moderne Bildfindungen, aber vor allem durch das Medium der Fotografie ersetzt wurden.
So erlebt der Betrachter der Werke dieser Zeit eine massive Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeiten, wo Wappenzeichnungen oder Darstellungen eines Chargierten sich wiederfinden mit Fotocollagen, abstrakt-expressionistisch umgesetzten Interpretationen der Verbindungsfarben, Comics und nahezu esoterisch wirkenden Mandala-Kompositionen. Seit der Jahrtausendwende kann man zwar immer noch von einer Stilpluralität sprechen, wobei neben der Fotografie wieder die ursprüngliche Symbolsprache und damit auch die historische zeichnerische Ausdrucksweise zu dominieren scheint. Eine zentrale Rolle der Bildverbreitung und auch des Austausches und Ausdrucks bilden nun zudem nicht mehr die Couleurkarten, sondern vor allem die digitalen Veröffentlichungen, welche sich der Malerei, Grafik und Fotografie bedienen und sich neben dem bisherigen Stilrepertoire auch zunehmend den Konventionen des Internets anpassen, weshalb vor allem Comics und Memes in ihrer Bekanntheit und Popularität den ursprünglichen Motiven in nichts mehr nachzustehen scheinen.
Was sich jedoch eigentlich durchwegs, bis auf manche konventionsbedingten Änderungen oder kurze Phasen des Abgangs von Traditionen, trotz Änderungen des Stils oder der verfügbaren Medien gehalten zu haben scheint, ist die untrennbare Verbindung zur Kommunikation und die damit einhergehende Nutzung spezifischer Symbolik. Diese den Studentenverbindungen sehr eigene Sprache und Bildsprache verdrängt nahezu den Stil, welcher gegenüber der eigentlichen Symbolik relativ irrelevant wäre. Dennoch hielten und halten sich gewisse Präferenzen in Punkto Stil, deren Änderung stets eine Frage der Zeit und des Geschmacks ist. Und schon zur Blütezeit der couleurstudentischen Kunst und Malerei um 1900 scheinen die Geschmäcker verschieden gewesen zu sein, wie Philipp Schumacher einst auch in der Academia berichtete:
Meiner vielen Schwäche und meiner Unzulänglichkeit bin ich mir sehr wohl bewusst. Mancher geht heutzutage über mich hinweg und schilt mich rückständig und veraltet (siehe die Kritik eines liebenswürdigen Cartellbruders in einem eben erschienenen Krippenbuch), ich werde mich deshalb in meinen alten Tagen nicht mehr umkrempeln. Meine Liebe zur Form, zur strengen Zeichnung und gewissenhaften Durchführung lasse ich mir nicht nehmen trotz moderner Strömungen. Ob aber aus meinen Schöpfungen eine Seele spricht, das zu entscheiden steht nicht mir zu, sondern der Mitwelt.
Academia 42, 1930, 9, S. 278 ff.
Und genau diese Seele, von der Schumacher spricht, ist in Betrachtung der couleurstudentischen Kunstwerke vor allem die weitergereichte Tradition und der enorme Fundus an historisch gewachsener Symbolik. Der Couleurstudent als Schöpfer studentischer Kunstwerke drückt sich vornehmlich nicht durch einen neuen Stil oder neue Formen aus, wie dies in der Kunstwelt seit der Nachkriegszeit zu beobachten ist, sondern primär durch die intendierte Nutzung spezifischer Elemente, um mit dem mit dieser Symbolik vertrauten Betrachter zu kommunizieren.
Kbr. Simon Kriss, BA (AIn) studiert Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck.